pest
Ein Requiem auf das Leben
Credits: Piotr Iwicki
Der Tod ist allgegenwärtig. In jeder Ritze steckt er, und jeden noch so kleinen Fleck bedeckt er mit dem kühlen Schleier seiner Finsternis. Sein Gegenstück, das Leben. Mit im Spiel; die Liebe, die Utopie und der Widerstand. Ein Theaterstück in zwei Sphären:
«Wann wird die Nachwelt glauben, dass es einmal eine Zeit gegeben hat, in der ohne Himmels- und Weltenbrand, ohne Kriege oder andere sichtbare Katastrophen nicht nur ein Teil der Erde, sondern fast der ganze Weltkreis ohne einen Bewohner zurückgeblieben ist?» fragt sich der italienische Dichter Petrarca gleich zu Beginn mit grosser Sorge. Ja, der Tod begleitet uns durchs ganze Stück, selbst bei Ambrogio Lorenzettis Einstiegsfresko der Guten Regierung auf Stadt und Land, schwingt seine Anwesenheit mit, wissen wir doch, dass Lorenzetti einige Jahre später selbst Opfer der Pest wurde.
Szenenwechsel: Der Ackermann reisst einen Streit vom Zaun. Er lässt sich auf eine heftige Debatte mit dem Tod ein, weil seine Frau im Kindbett gestorben ist. Er nimmt den Verlust nicht als gottgegeben hin und attackiert den Tod, verleumdet ihn als Mörder. Der Tod erwidert mit einer ebenso heftigen Rede. Im Verlauf der Auseinandersetzung verlagert sich die Thematik weg vom privaten Verlust zu allgemeineren Themen der Menschheit.
Christoph Klimke, der deutsche Theaterautor und Dramaturg überarbeitete den Text von Johannes von Tepls Werk Der Ackermann. Er kürzte und verschnitt das Original und ergänzte es mit eigenen Texten, ganz im Sinne der Sprache der Vorlage. Über die Ursprungsfassung hinaus schlägt Klimke den Bogen sowohl in die Pestjahre wie zur heutigen Zeit. Inwieweit assistieren wir dem Tod, indem wir die Natur, unsere eigene Lebensgrundlage zerstören? Ackermann und Tod werden von der Roten Figur, einer Tänzerin, die für Liebe, Widerstand und Utopie steht, wie von einer Regisseurin durchs Stück geführt. Wechselweise folgen sich Pest- und Ackermann/Tod-Szenen.
Bekannte Chronisten der Zeit beleuchten die Pest von verschiedenen Seiten. Gabriele de Mussis beschreibt detailreich die Symptome der Pestkranken, und der florentinische Dichter Giovanni Boccaccio erstellt eine Typologie der Menschengruppen im Umgang mit der Pandemie, die an Aktualität nichts eingebüsst hat; z.B. die Selbstisolierer, die jetzt-erst-recht-Hedonisten oder diejenigen, die sich an keine Gesetze mehr halten, da die staatliche und religiöse Autorität inzwischen fast gänzlich ausgestorben ist. Giottos Fresko vom Jüngsten Gericht und das Kyrie von Machaut verweben sich im Text.
Das Leben ist um des Sterbens willen geschaffen, meint der Tod; wäre das Leben nicht, wäre ER nicht. Diesen Dualismus empfiehlt er dem Ackermann auch fürs Leben: Glück und Unglück gehören zusammen, des einen Ende ist des andern Anfang. Der Ackermann besteht auf der Kultivierung des Guten, zumindest auf die Hoffnung daran. Der Tod zeichnet ein klägliches Menschenbild, das einer jämmerlichen Puppe, eines kurz währenden Trugbilds. Der Ackermann findet solche Aussagen entwürdigend und bezeichnet den Menschen als Gottes allerliebste Kreatur.
Die verschiedenen Künste treffen sich auf der Bühne zu einem Requiem auf das Leben.
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